Prof. Dr. Michael Heese: Kein Grund für Nutzungsentschädigungen im Abgasskandal

Der Meinung sind nicht nur die führenden Anwälte im Dieselskandal: Der Volkswagen AG und allen anderen Motorenherstellern, die vorsätzlich und grob sittenwidrig Manipulationen an Abgas-Anlagen von PKW vorgenommen haben, steht keine Nutzungsentschädigung durch den Käufer zu. Nun bekommt die Verfahrensstrategie für eine echte und spürbare Bestrafung der von VW und AUDI an den Tag gelegten Arglist einen prominenten Fürsprecher. Professor Dr. Michael Heese, LL.M. (Yale), ist Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht an der Universität Regensburg. In der aktuellen Ausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift des renommierten Beck-Verlages ist ein wegweisender Artikel des Juristen zum Thema „Herstellerhaftung für manipulierte Diesel-Kraftfahrzeuge“ erschienen (NJW 2019, 257).

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Dr. Heese bemängelt, dass in den USA Käufer manipulierter VW-Diesel-Kraftfahrzeuge angemessen entschädigt wurden, während der Dieselskandal für die deutsche (Zivil-)Rechtsordnung längst zu einer echten Belastungsprobe mit vielen offenen Fragen geworden ist.

Z.B.: Wie kann einem wegen vorsätzlicher Sittenwidrigkeit verurteilten Schädiger ein Nutzungsanspruch für eine Ware zustehen? Auf der Homepage der Uni Regensburg ist dazu zu lesen: „Der Grund dafür liegt in erheblichen Unzulänglichkeiten des deutschen Zivilprozessrechts, durch die längst überfällige Grundsatzentscheidungen hinausgezögert werden. Dabei liegt die Haftung der Hersteller (auch) nach deutschem Recht auf der Hand. Eine Fallstudie soll das verdeutlichen.“

Professor Dr. Heese vertritt die Auffassung, dass ein Beklagter, dem Manipulationen an Fahrzeugen nachgewiesen werden kann, gemäß § 826 BGB den Käufern dieser Fahrzeuge Schadensersatz zu leisten hat. Das allein ist nichts neues, denn deutsche Land- und Obergerichte urteilen regelmäßig auf Basis dieser Rechtsmeinung. Was Dr. Heese herausarbeitet ist die grundsätzliche Höhe der Kaufpreiserstattung. Während Gerichte in Deutschland einen Abzug für die Nutzung durch den Autofahrer in Anrechnung bringen und damit für die Schädiger die Rückabwicklung des Fahrzeugs zumindest in Richtung einer Kostenneutralität abfedern, geht der gelehrte Jura-Professor davon aus, dass z.B. VW nach sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung keinen Anspruch auf Anrechnung von Nutzungen im Wege der Vorteilsausgleichung hat – dies aus besseren Wertungsgründen.

Arglist wird nicht bestraft

Dr. Heese: „Allerdings steht die Anrechnung von Nutzungen schon quer zum haftungsbegründenden Vorwurf der arglistigen Herbeiführung des Kaufvertrags, denn der Käufer wollte das Fahrzeug kaufen, keinesfalls ‚mieten‘. Ungeachtet dessen liegt auf der Hand, dass die wegen Arglist haftende Beklagte die Wertschöpfung des inkriminierten Warenabsatzes nicht doch noch im Wege der Schadensberechnung zeitweilig realisieren darf, zumal sich die Berechnung am vereinbarten – objektiv wohl überhöhten – Kaufpreis orientieren soll.“ Soll heißen: Wie kann ich eine Nutzungsentschädigung berechnen, wenn der schon überhöhte Kaufpreis Teil der Formel ist? – ebenso wie eine quasi willkürliche festgesetzte Gesamtlaufleistung eines PKW?

Durch die Anwendung des Vorteilsausgleichung entsteht nach Dr. Heeses Meinung eine wertungsmäßige Schieflage. Er führt das Landgericht Ingolstadt an, das bei einem Kaufpreis von 25.000 Euro 15.500 Euro in Abzug gebracht hat. Das wird sicherlich noch immer eine ausreichende Klagemotivation sein und den wirtschaftlichen Schaden eventuell sogar ausgleichen, aber eine Abstrafung arglistigen Handelns ist das sicher nicht. Letzten Endes bedeutet das auch, dass Fahrzeuge die sich der 300.000 Kilometer-Grenze nähern dann quasi gar keinen Anspruch mehr haben, obwohl auch deren Besitzer arglistig getäuscht wurden. Will ein Gericht in einem Einzelfall einem geschädigten Käufer Recht widerfahren lassen, dann kann man das schlecht von der Anzahl der gefahrenen Kilometer abhängig machen, denn die wurden ja im Bewusstsein gefahren, dass alles seine Richtigkeit hat.

Keine wirklichen Konsequenzen für die Schädiger

Heese: „Für den Hersteller dürfte die deliktische Haftung hiernach rein wirtschaftlich nahezu keinen Unterschied machen.“ Zumindest der finanzielle Schaden hält sich ja dank des Nutzungsersatzes in Grenzen. Die Beklagten haben wenig wirksame zivilrechtliche Konsequenzen zu befürchten und werden unangemessen entlastet. „Die Präventionsfunktion des Deliktsrechts gegenüber arglistiger Vermögensschädigung wäre zudem substanziell verfehlt.“ Für Nichtjuristen: Was ist denn das für eine Strafe? VW lässt sich die gefahrenen Kilometer bezahlen und kann das zurückgenommene Auto noch wirtschaftlich nutzen. Also wirklich abschreckend ist etwas anderes…

Liegt Dr. Heese damit auf Konfrontationskurs zur gängigen Instanzenrechtsprechung? Nicht ganz, denn es gibt bereits Entscheidungen, die ohne das Nutzungsentgelt auskommen, z.B. Az.: 021 O 4310/16 (LG Augsburg). Ob und in welchem Rahmen das Nutzungsentgelt in den zahllosen Vergleichen vor deutschen Obergerichten eine Rolle spielt ist nicht klar, da in den meisten Verfahren Stillschweigevereinbarungen getroffen wurden.

Heeses Vorstoß ist aber auf jeden Fall hilfreich, um ein Stückchen mehr Verbraucherschutz und Gerechtigkeit in den Dieselskandal einziehen zu lassen. In letzter Zeit waren die Urteile zur vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung so klar und deutlich ausgefallen – zuletzt vor dem OLG Köln, dass eine Abkehr vom Modell der Nutzungsentschädigung nur noch eine Sache der Zeit scheint…

Mehr Infos zum Dieselskandal auf www.ig-dieselskandal.de

Verjährung tritt nicht ein

Dr. Heese bezieht auch zur Verjährung Stellung. Autokäufer, insbesondere technische Laien, hätten auch im Jahr 2016 nicht konkret und die Kaufentscheidung beeinflussend wissen müssen, dass das Auto vom Dieselskandal betroffen ist. Selbst wenn sie über die Verwendung des streitgegenständlichen Motors aufgeklärt wurden, hätten sie daraus nicht zwangsläufig ableiten müssen, dass ihnen großer Schaden droht.

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