Die in Freiburg erscheinende Zeitung „Der Sonntag“ fĂŒhrte anlĂ€sslich des Jahrestages der Lehman-Insolvenz mit Fachanwalt Andreas Mayer ein GesprĂ€ch ĂŒber TĂ€uschungen, EnttĂ€uschungen und Hoffnungen.
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Herr Mayer, was fĂ€llt Ihnen als Anwalt fĂŒr Bank- und Kapitalmarktrecht zur Insolvenz von Lehman Brothers als Erstes ein?
AM: Das Auffallendste war, dass sehr viele Ă€ltere Menschen â hĂ€ufig im Rentenalter â von der Lehman- Insolvenz betroffen sind.
Haben Banken gezielt unerfahrene Kunden angesprochen?
AM: Nein. Es ist aber Folgendes passiert: Etwa ab Ende 2005 haben einige Banken verstĂ€rkt Zertifikate verkauft â offenbar als Ersatz fĂŒr festverzinsliche Anlagen oder Geldmarkt- und Rentenfonds. Damals gingen die Zinsen am Markt zurĂŒck. Die VerkĂ€ufer der Banken haben das fĂŒr sich ausgenĂŒtzt, um die vermeintlich lukrative Verzinsung der Zertifikate in den Vordergrund zu rĂŒcken â ohne die oftmals Ă€lteren Kunden auf die Risiken hinzuweisen, denn Ă€ltere Menschen legen auf Erhalt ihres Kapitals groĂen Wert. Von meinen Mandanten haben nur wenige gezielt Zertifikate gewĂŒnscht.
Was war der schlimmste Verlustfall, der Ihnen vorgetragen wurde?
AM: Ein SpĂ€taussiedlerpaar, das vor langer Zeit aus Polen nach SĂŒdbaden kam, hat durch einen glĂŒcklichen Umstand vor zwei Jahren fĂŒr dasHaus in Polen, das es zurĂŒcklassenmusste,Geld bekommen â einen sechsstelligen Eurobetrag. Das Paar sagte der Beraterin der Citibank, es wolle damit eine Wohnung kaufen â als Altersruhesitz. Es brauchte also eine kurzfristige Anlage. Die beiden kannten sich aber nicht aus. TatsĂ€chlich haben sie dann komplett in Lehman-Zertifikate investiert â und alles verloren. Viele, die ihr Geld verloren haben, hatten jahrzehntelang auf konservative Anlagen gesetzt. Viele meiner Mandaten haben frĂŒher gute Erfahrungenmit ihrer Bank gemacht. Etwa ab 2006 dann plötzlich wurden sie â oftmals am Telefon â vom Bankberater verstĂ€rkt zu Wechseln im Depot animiert und in immer höhere Risiken gebracht.
Haben die Kunden eine Chance, noch an ihrGeld zu kommen?
AM: Ich glaube nicht, dass man auf groĂe Summen aus den Insolvenzverfahren bei Lehman hoffen kann. Es gab schon Aufkaufangebote an Inhaber von Lehman- Zertifikaten, die sich auf ein oder zwei Prozent des Nennwertes beliefen â daran lĂ€sst sich der derzeitige Marktwert ablesen. Wer eine reelle Chance habenwill, dem bleibt nur der Weg ĂŒber die Beratungshaftung der Bank. Gab es einen Beratungsvertrag mit der Bank? Bei persönlichem Kontakt mit der Bank wird meist ein Beratungsvertrag vorliegen, und der Kunde kann Schadensersatz verlangen, wenn das empfohlene Papier nicht seinen geĂ€uĂerten Vorstellungen entspricht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in jĂŒngster Zeit immer stĂ€rker zulasten der Banken entschieden. So hat der BGH klar gesagt, dass Bankberater sĂ€mtliche VergĂŒtungsbestandteile offen legen mĂŒssen. Also auch wenn die Bank, wie es der BGH ausdrĂŒckt, âhinter dem RĂŒcken des Kunden geflossene Zahlungenâ vereinnahmt. Diese hĂ€tten komplett aufgedeckt werden mĂŒssen. An dem Punkt setzen wir an â natĂŒrlich neben anderen individuellen Beratungsfehlern. Die Chancen sind also gut. Ich bin eigentlich ganz optimistisch. Auch aufgrund der Gerichtsurteile gegendie Sparkasse Hamburg und die Dresdner Bank.
Wie viele Anleger in der Region haben Geld durch die Lehman-Insolvenz verloren?
AM: Allein in unserer Kanzlei gibt es einen Gesamtschaden im Millionenbereich. Wir haben rund 60 Mandanten. Zu meinen fĂŒnf VortrĂ€gen bei der Verbraucherzentrale Freiburg kamen jedes Mal 40 bis 50 Leute. Und ich muss es noch einmal betonen: Das sind keine Zocker, sondern besonders risikoscheue Anleger.
WĂŒrden Sie von krimineller Energie bei Anlageberatern sprechen?
AM: Im ein oder anderen Fall schon. Die Berater haben sich auf einem ganz schmalen Grad bewegt. Die Verkaufsstrukturen waren aber so, dass der Berater selbst kein schlechtes Gewissen haben musste. Die Probleme sind auf höheren Etagen entstanden. Ich habe den Eindruck, da hat es in den vergangenen Jahren strategischeĂnderungengegeben: weg von konservativen Beratern, hin zu VerkĂ€ufern. Heute weiĂ man: Lehman stand schon ein halbes Jahr vor der Insolvenz auf der Warnliste.
Wieso war das 2008 Insiderwissen?
AM: Das war damals in der Tat Insiderwissen. Erst seit kurzem können Credit Spreads tagesaktuell eingesehenwerden. An diesen zeigt sich die EinschĂ€tzung des Marktes ĂŒber das Insolvenzrisiko einer Bank. Es ist wohl ein Spezialwissen, das der Berater am Schalter zwar nicht hatte, die entsprechende Fachabteilung der Bank aber schon â auch deren Wissen ist aber dem Kunden zur VerfĂŒgung zu stellen. Die meisten Opfer kommen von der Citibank. Wieso? Die meisten Betroffenen in meiner Kanzlei sind zwar Kunden der Citibank, aber auch der Dresdner Bank und der SĂŒdwestbank. Bei der Citibank kann man mutmaĂen, dass sie eng mit Lehman zusammengearbeitet hat. Die Citi-Group zĂ€hlt zu den HauptglĂ€ubigern im US-Insolvenzverfahren ĂŒber Lehman.
Wie lange sind Sie nochmit diesen FÀllen beschÀftigt?
AM: Ich rechne mit den nĂ€chsten Jahren. Wahrscheinlich werden wir in vielen FĂ€llen klagen mĂŒssen, weil die Banken derzeit kaum Vergleichsbereitschaft zeigen.
Wird der Kapitalismus aus der Lehman-Pleite lernen?
AM: Die Investment-Banken machen schon wieder riesige Gewinne. Die Zertifikate, auf die so viele hereingefallen sind, sollen gerade wieder gut laufen. Es ist ein groĂer Fehler, dass Staaten Banken mit Sicherheiten ausstatten und ihnen damit ermöglichen, wieder in solche GeschĂ€fte hineinzugehen. Der Kunde kauft ja nur, wenn er sicher ist, dass die Bank nicht pleitegeht. Ich kann nicht erkennen, dass man auch nur ansatzweise aus den Fehlern gelernt hat. Zertifikate sollten nicht an Kleinanleger verkauft werden. Diese Produkte sind zu komplex, als dass Otto Normalverbraucher auch nur ansatzweise erkennen könnte, welche Chancen mit welchen Risiken verknĂŒpft sind. Im Gegensatz zum Kunden sichert die Bank sich gegen ihre Risiken am Markt ab.
DAS GESPRĂCH FĂHRTE KLAUS RIEXINGER
Quelle „Der Sonntag“ und http://www.mayerlaw.de