Die Musterklägerin im Frankfurter KapMuG-Musterverfahren gegen die CorealCredit Bank AG (Az: 23 Kap 1/08) hat gegen Beschlüsse des Frankfurter Oberlandesgerichts (OLG) sowie Landgerichts (LG) am gestrigen Donnerstag Verfassungsbeschwerde eingelegt, wegen aus ihrer Sicht verfassungswidriger Auslegung und Anwendung des seit der Reform 2012 neu gefassten Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG).
Hier einen Rechtsanwalt zu diesem Thema finden
Verbraucherschutz.tv kooperiert deutschlandweit mit vielen kompetenten Rechtsanwälten auch aus Ihrer Region. Sie sind Anwalt und möchten hier veröffentlichen? Bitte Mail an usch@talking-text.de
Die Musterklägerin fordert von der CorealCredit Bank einen Betrag von über 2 Mio. EUR. Hintergrund ist ihr Vorwurf, der Vorstand der Bank habe in den Jahren 2001 und 2002 pflichtwidrig und zum Nachteil der Genussscheininhaber – zu denen auch die Musterklägerin gehörte – unzulässige Derivatgeschäfte mit Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe und weiteren Verlustrisiken mit mehr als einer Milliarde Euro getätigt. Die Musterklägerin wird vertreten durch die Tübinger Kanzlei TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH („TILP“), die Verfassungsbeschwerde wird vom renommierten Stuttgarter Verfassungsrechtler Prof. Dr. Rüdiger Zuck geführt.
Die Verfassungsbeschwerde rügt die Verletzung des grundrechtlich gewährleisteten Allgemeinen Justizgewährungsanspruches, weil im Musterverfahren vor dem OLG nur ein Teil der von der Musterklägerin in ihrer Klage geltend gemachten Ansprüche verhandelt wird, und die Frankfurter Gerichte ihr gleichwohl keinerlei Möglichkeit einräumen, die im Musterverfahren nicht behandelten Ansprüche gerichtlich weiter zu betreiben.
„Obwohl die von uns vertretene Musterklägerin bereits im Jahr 2007 Klage erhoben hat, begann das Oberlandesgericht Frankfurt erst Ende 2012, sich mit dem Musterverfahren inhaltlich zu beschäftigen. Da das Musterverfahren aber nur einen Teil ihrer Klageansprüche abdeckt, haben wir für die Musterklägerin so genannte Erweiterungsanträge gestellt, welche jedoch zurückgewiesen wurden, ohne das die Frankfurter Gerichte der Musterklägerin ermöglicht haben, ihre quasi eingefrorenen Ansprüche gerichtlich weiter zu verfolgen. Das halten wir für unzumutbar und verfassungswidrig“, erklärt Rechtsanwalt Andreas Tilp.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen drei Beschlüsse der Frankfurter Gerichte: des LG vom 20.01.2014, Az: 2-21 OH 9/08; des OLG vom 04.07.2014, Az: 23 W 22/14 und des OLG vom 28.07.2014, Az: 23 Kap 1/08.
Rechtsanwalt Professor Dr. Rüdiger Zuck rügt in seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes in seiner Ausprägung durch den Allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch. Vorliegend hat das LG die Klage der Musterklägerin komplett ausgesetzt und ihr keinerlei Möglichkeit eröffnet, denjenigen Teil ihrer Klageansprüche, welcher nicht im Musterverfahren vor dem OLG behandelt wird, weiter zu betreiben; das OLG verweigert ihr hierzu ebenfalls jegliche Möglichkeit. Damit kommt eine Weiterverfolgung der Ansprüche frühestens nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens in Betracht, was noch viele Jahre dauern kann. Die Frankfurter Gerichte gelangen zu diesem unhaltbaren Ergebnis nach Auffassung von TILP und Zuck nur durch eine verfassungswidrige Auslegung und Anwendung zentraler Vorschriften des KapMuG, insbesondere der Aussetzungsvorschrift des § 8 KapMuG sowie der Erweiterungsvorschrift des § 15 KapMuG. Mit ihren seit nunmehr acht Jahren und weiterhin auf unbekannte Zeit eingefrorenen Ansprüchen befindet sich die Musterklägerin daher in einer Deadlock-Situation, welche sich insgesamt so zusammenfassend skizzieren lässt:
• Die Totalaussetzung des Ausgangsverfahrens blockiert jedes weitere Vorgehen in der Instanz.
• Ein neues Musterverfahren kann nicht mehr in Gang gebracht werden.
• Der Vorlagebeschluss ist nicht mehr erweiterbar.
• Das gilt auch für das Musterverfahren.
„Die Auslegung und Anwendung des KapMuG durch die Frankfurter Gerichte führt nicht nur in diesem Einzelfall zu einer unzumutbaren Deadlock-Situation, sondern eröffnet diese Gefahr konkret auch für eine Vielzahl zukünftiger KapMuG-Musterverfahren. Ein solches Verständnis lässt das KapMuG in weiten Teilen leerlaufen und verstößt damit in eklatanter Weise gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Gebot des effektiven Rechtschutzes“ erläutert Rechtsanwalt Zuck.
Zum Hintergrund der Frankfurter Schadenersatzprozesse gegen die CorealCredit Bank AG (die frühere Allgemeine Hypothekenbank Rheinboden AG):
Die Musterklägerin hat im Jahr 2007 gegenüber der früheren AHBR eine Vielzahl von Ansprüchen geltend gemacht. Diese beruhen im Kern auf dem Vorwurf, der Vorstand der AHBR habe 2001 und 2002 pflichtwidrig und zum Nachteil der Genussscheininhaber unzulässige Derivatgeschäfte mit Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe und weiteren Verlustrisiken mit mehr als einer Milliarde Euro getätigt; hierüber habe die AHBR die Öffentlichkeit nicht pflichtgemäß informiert und bilanzielle Risiken verschwiegen. Die Musterklägerin erlitt einen Schaden von über 2 Mio. €. Ihre Klage zum Landgericht Frankfurt am Main datiert vom 18.06.2007. Zur Musterklägerin nach dem KapMuG wurde sie vom OLG Frankfurt am Main mit Beschluss vom 02.09.2008 bestellt. Obwohl der ursprüngliche KapMuG-Vorlagebeschluss des LG Frankfurt, der das bindende Arbeitsprogramm des OLG enthält, bereits vom 18.07.2008 stammt, hat das OLG das Musterverfahren erst im Dezember 2012 weiter betrieben. Der Vorlagebeschluss enthält jedoch lediglich einen Teil der von der Musterklägerin in ihrer Klage geltend gemachten Ansprüche, so dass diese in der Folgezeit Erweiterungsanträge beim LG und OLG gestellt hat, welche aber zurückgewiesen wurden. Auf das Musterverfahren findet das neue, am 1. November 2012 in Kraft getretene KapMuG Anwendung.
Mehr Informationen: www.tilp.de