Das Landgericht Saarbrücken hatte den Europäischen Gerichtshof um eine Entscheidung darüber gebeten, ob sogenannte Kaskadenverweise in Widerrufsbelehrungen im Rahmen der EU-Verbraucherrichtlinien zulässig sind oder nicht. Im Verfahren um den Widerruf eines 100.000 Euro-Darlehens zur Immobilienfinanzierung wollte die Instanz wohl auf Nummer sichergehen – immerhin hätte ein verbraucherfreundliche Urteil im kompletten Widerspruch zu einer BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2016 gestanden.
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In der Rechtssache C 66/19 sprach der EuGH jetzt ein absolutes Sensationsurteil. Dr. Ingo Gasser, Fachanwalt für Bank und Kapitalmarktrecht aus Kiel: „Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Widerrufsmöglichkeiten von Immobiliendarlehen hat, sondern betrifft auch rund 20 Millionen Verbraucherdarlehen zur Finanzierung von Kraftfahrzeugen. Der Widerrufsjoker lebt!“
Banken verweisen auf den BGB-Paragrafen 492, Abs 2. Dieser Verweis ist nicht zulässig, da es Verbraucher überfordert, sich in Gesetzestexte einlesen zu müssen, so der EuGH. Dr. Gasser: „Dies ist dem Verbraucher nicht zuzumuten, denn Verbraucherkreditverträge müssen in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben. Kaskadenverweise sind dazu nicht geeignet.“
Der EuGH in seiner Pressemitteilung: „Es reicht nicht aus, dass der Vertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere nationale Rechtsvorschriften verweist.“
In Saarbrücken geht es vor dem Landgericht um einen Vertrag, der Ende 2012 mit der Kreissparkasse Saarlouis über grundpfandrechtlich gesicherten Kredit über 100 000 Euro geschlossen wurde.
Der Kläger widerrief 2016 mit dem Hinweis, dass ein Verweis auf Paragraf 492, Abs. 2 wichtig zur Berechnung des Anlaufes der Widerrufsfrist sei und das ihm diese Informationen nicht in verständlicher Art und Weise vorgetragen worden waren. Dr. Gasser: „Die 14-tägige Widerrufsfrist ist demnach nicht angelaufen!“
Die Passage im Wortlaut: „Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“
Die Kreissparkasse Saarlouis ist der Meinung, ordnungsgemäß widerrufen zu haben. Immerhin habe der Bundesgerichtshof schon 2016 die Zulässigkeit der entsprechenden Klausel bejaht hatte. Demnach sei der Verbraucher ordnungsgemäß belehrt worden, der Widerruf wurde als unbegründet abgelehnt.
Das Landgericht Saarbrücken nahm den Europäischen Gerichtshof mit ins Boot und bat um Auslegung u.A. zur Richtlinie 2008/48/EG. „Die Entscheidung zur Sache C-66/19 ist eine absolute Klatsche für den deutschen BGH, denn der EuGH entschied, dass Kaskadenverweise mit europäischem Recht ganz und gar nicht vereinbar seien. Zum Aktenzeichen XI ZR 434/15 hatten die Karlsruher Richter aber eben diese Vereinbarkeit stets hervorgehoben“ führt der erfahrene Fachanwalt aus Kiel aus.
Widerrufbar sind jetzt Darlehnsverträge, z.B. zur Finanzierung von Kraftfahrzeugen, Leasing-Verträge, Immobiliendarlehen.
Die Kanzlei Dr. Gasser empfiehlt Verbrauchern, jetzt ihre Widerrufsmöglichkeiten zu prüfen und günstig neu zu finanzieren, bzw. das Auto zurückzunehmen. Das funktioniert nicht nur bei ungeliebten Diesel-Fahrzeugen, sondern auch bei teuren Sportwagen, Wohnmobilen oder Elektrofahrzeugen.