Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomt. In den Regalen von Drogerien, in der Apotheke und online wird ein Vitamin aktuell wie ein Allheilmittel beworben: Vitamin K2. Es soll die Knochen stärken, Osteoporose vorbeugen und, das ist die zentrale Behauptung, die Gefäßverkalkung stoppen oder gar umkehren. Besonders beliebt ist die Kombination mit Vitamin D. Doch während die Versprechen der Hersteller laut sind, wächst bei Experten die Skepsis. Es gibt erhebliche Bedenken hinsichtlich der Sicherheit, der Dosierungen und irreführender Werbeaussagen.
Dieser Artikel ist eine dringende Vitamin K2 Warnung. Wir haben uns die Studienlage, die Produkte und die Einschätzungen von Behörden wie dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) angesehen. Die Ergebnisse zeigen: Die Einnahme ist für bestimmte Personen gefährlich, der Nutzen für gesunde Menschen fragwürdig und die Risiken bei Weitem nicht vollständig geklärt.
Was ist Vitamin K? Mehr als nur ein Buchstabe für die Blutgerinnung
Um die Risiken zu verstehen, muss man zunächst wissen, was Vitamin K überhaupt ist. Es handelt sich nicht um eine einzelne Substanz, sondern um einen Oberbegriff für eine ganze Gruppe fettlöslicher Verbindungen. Für den Körper sind vor allem zwei Formen von Bedeutung:
- Vitamin K1 (Phyllochinon): Dieses K 1 findet man reichlich in grünem Blattgemüse, wie Spinat oder Grünkohl. Es ist das A und O für unsere Blutgerinnung. Ohne Vitamin K1 kann die Leber bestimmte Gerinnungsfaktoren nicht herstellen.
- Vitamin K2 (Menachinon): Dieses K 2 wird teils von Bakterien im Darm gebildet, findet sich aber auch in tierischen Lebensmitteln (z.B. Leber, Eigelb) und fermentierten Speisen (z.B. Natto). Vitamin K2 existiert wiederum in verschiedenen Formen, wobei heute fast ausschließlich MK-7 (Menachinon-7) in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet wird.
Die Industrie konzentriert sich auf K2, weil es eine spezielle Rolle zugeschrieben bekommt: Es soll das Calcium im Körper lenken. Die Theorie besagt, dass Vitamin K2 zwei wichtige Proteine aktiviert:
- Osteocalcin: Dieses Protein wird für den Knochenstoffwechsel benötigt. Ist es aktiviert, hilft es, Calcium in die Knochen einzubauen.
- Matrix Gla Protein (MGP): Dieses Protein soll, wenn es durch K2 aktiviert wird, Calcium daran hindern, sich in den Arterienwänden abzulagern.
Die Idee ist also: Vitamin D sorgt für die Calciumaufnahme aus dem Darm ins Blut, und K2 sorgt dafür, dass es in den Knochen landet und nicht in den Gefäßen. Eine Theorie, die sich hervorragend vermarkten lässt – aber einer genauen Prüfung standhalten muss.
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Die K2-Falle: Lebensgefahr bei Einnahme von Vitamin K Antagonisten
Die größte und unumstößliche Warnung betrifft eine spezifische Patientengruppe: Personen, die Blutverdünner einnehmen müssen. Millionen Menschen sind auf Medikamente vom Cumarin-Typ (sogenannte Vitamin K Antagonisten, Beispiele sind Phenprocoumon oder Warfarin) angewiesen, etwa nach Thrombosen oder bei Vorhofflimmern.
Diese Medikamente wirken, indem sie die Wirkung von Vitamin K gezielt hemmen, um die Blutgerinnung herabzusetzen.
Wenn diese Patienten nun hochdosiertes Vitamin K2 als Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, hebeln sie die Wirkung ihres lebenswichtigen Medikaments aus. Die Einnahme von Vitamin K, egal ob K1 oder K2, wirkt der Gerinnungshemmung direkt entgegen. Das Risiko für Thrombosen, Embolien oder Schlaganfälle steigt dramatisch an.
Wir haben bei unserer Recherche festgestellt, dass die Warnhinweise auf vielen K2-Präparaten zwar vorhanden, aber oft klein gedruckt oder missverständlich formuliert sind. Angesichts dieser Gefahr ist die aggressive Bewerbung von Vitamin K2 für die „allgemeine Gesundheit“ fahrlässig.
Das Vitamin D Dilemma: Warum die beliebte Kombination trügerisch ist
Fast kein Vitamin D Präparat kommt heute mehr ohne den Zusatz von K 2 aus. Der Grund ist eine weit verbreitete Sorge: Hohe Vitamin D Dosierungen steigern die Calciumaufnahme aus der Nahrung massiv. Die Behauptung der Hersteller: Ohne K2 wisse der Körper nicht, wohin mit dem vielen Calcium, und es lagere sich in den Arterien ab. Man würde also durch Vitamin D Einnahmen eine Gefäßverkalkung riskieren. Vitamin K2 sei der notwendige Schutz.
Was ist an dieser Theorie dran? Zunächst: Ein echter Vitamin K Mangel ist bei gesunden Erwachsenen in Deutschland extrem selten. Die normale Ernährung liefert meist genug Vitamine (vor allem K1), um die Blutgerinnung sicherzustellen. Und auch die Versorgung mit K2 ist bei einer ausgewogenen Kost gegeben.
Die Risikobewertung der Wissenschaft ist hier deutlich nüchterner als das Marketing. Es gibt bislang keine robusten, klinischen Studien am Menschen, die eindeutig beweisen, dass hohe Vitamin D Einnahmen bei Personen ohne K2-Supplementierung zu einer Gefäßverkalkung führen. Ebenso wenig ist bewiesen, dass die Kombination D3/K2 bei gesunden Menschen einen besseren Effekt auf die Knochen hat als Vitamin D allein.
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Aussage gegen Aussage: Das Urteil des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)
Wenn Marketing auf Wissenschaft trifft, ist ein Blick auf unabhängige Behörden ratsam. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das zum Ressort des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gehört, bewertet die Sicherheit von Nahrungsergänzungsmitteln.
Und die Einschätzung des Bundesinstituts zu Vitamin K2 ist ernüchternd.
In seiner offiziellen Risikobewertung stellt das BfR klar, dass die Datenlage zur Sicherheit von Vitamin K 2 in Nahrungsergänzungsmitteln – insbesondere bei höheren Dosierungen von MK-7 – lückenhaft ist. Es gibt keine offiziell festgelegte Höchstmenge für die tägliche Einnahme.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR sieht keinen Beleg für die Notwendigkeit einer zusätzlichen Einnahme von Vitamin K über Nahrungsergänzungsmittel bei gesunden Menschen. Die Behauptungen, K2 würde bei Osteoporose helfen oder gar die Haut verjüngen, sind wissenschaftlich schwach und oft nicht durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen.
Mythen und Fakten zu K2: Eine Einordnung
Der Hype um Vitamin K2 hat zu vielen Mythen geführt. Wir stellen die gängigsten Behauptungen einer nüchternen Risikobewertung BfR gegenüber.
| Mythos / Behauptung | Die Realität (Fakten & Risiken) |
| „Jeder braucht K2 als Mittel gegen Mangel.“ | Falsch. Ein klinischer Vitamin K Mangel ist selten. Die Ernährung liefert meist genug Vitamine für die Grundfunktionen. |
| „K2 schmilzt Arterienverkalkung weg.“ | Irreführend und gefährlich. K2 aktiviert zwar Matrix Gla Proteine, aber es gibt keinen Beweis, dass es bestehende Plaque „wegschmilzt“. Diese Behauptung ist nicht haltbar. |
| „Hohe Dosen MK-7 sind unbedenklich.“ | Unklar. Das BfR und andere Behörden warnen vor fehlenden Langzeitdaten zu hohen Dosierungen (z.B. über 100 µg/Tag). |
| „Die Kombination D3/K2 ist ein Muss.“ | Marketing. Die wissenschaftliche Notwendigkeit dieser Kombination ist für die Allgemeinbevölkerung nicht belegt. |
| „K2 ist das wichtigste Vitamin für die Knochen.“ | Falsch. Für die Knochengesundheit sind Calcium und Vitamin D am besten erforscht. Vitamin K spielt eine Rolle, aber seine Bedeutung wird im Marketing oft übertrieben. |
Deklaration und Dosierung: Was wir bei Anbietern festgestellt haben
Ein Blick auf die Produkte in der Apotheke oder im Online-Handel offenbart weitere Probleme.
Problem 1: Die Dosierung
Die Dosierungsempfehlungen schwanken enorm. Manche Mittel bieten 50 Mikrogramm (µg), andere 100 µg, und viele „Hochdosis“-Präparate werben mit 200 µg MK-7 oder mehr. Da es keine offizielle Empfehlung für K2 gibt, agieren Hersteller hier in einer Grauzone. Konsumenten können nicht wissen, welche Dosis sicher oder wirksam ist.
Problem 2: Die Reinheit der Verbindung
Vitamin K2 in der Form MK-7 kann in zwei chemischen Strukturen vorliegen: als „all-trans“-Verbindung oder als „cis“-Verbindung. Nur die all-trans-Form ist biologisch aktiv und für den Körper nutzbar. Die cis-Formen sind weitgehend wirkungslos.
Wir haben festgestellt, dass viele Hersteller den „all-trans“-Gehalt ihrer Produkte nicht transparent ausweisen. Verbraucher kaufen möglicherweise teure Präparate, die zu einem großen Teil aus unwirksamen cis-Isomeren bestehen.
Problem 3: Irreführende Werbung
Besonders problematisch ist die Werbung, die K2 mit konkreten Erkrankungen in Verbindung bringt. Nahrungsergänzungsmittel dürfen per Gesetz keine Erkrankungen heilen, lindern oder verhüten. Wenn ein Produkt also suggeriert, es sei ein Mittel gegen Osteoporose oder Herzinfarkt (Gefäßverkalkung), ist dies ein klarer Verstoß. Der Einfluss solcher Werbung auf kranke Menschen ist fatal.
Fazit: Eine nüchterne Risikobewertung statt blindem Vertrauen
Diese Recherche führt zu einer klaren Vitamin K2 Warnung. Die größten Risiken von Vitamin K2 liegen nicht darin, dass das Vitamin selbst hochgiftig wäre. Die Gefahren sind subtiler, aber nicht weniger ernst:
- Lebensgefahr durch Wechselwirkungen: Die Einnahme ist für Personen, die Vitamin K Antagonisten (Blutverdünner vom Cumarin-Typ) nehmen, absolut tabu.
- Unklare Langzeit-Sicherheit: Die Risikobewertung für hohe Dosen MK-7, wie sie heute üblich sind, ist lückenhaft. Das Bundesinstitut für Risikobewertung mahnt zu Recht zur Vorsicht.
- Fragwürdiger Nutzen der Kombination: Die populäre Kombination mit Vitamin D basiert mehr auf einer cleveren Marketing-Theorie als auf gesicherten klinischen Daten für die Allgemeinbevölkerung.
- Irreführung: Verbraucher werden mit Halbwahrheiten über Gefäßverkalkung und Osteoporose zum Kauf verleitet.
Anstatt blind auf hochdosierte Nahrungsergänzungsmittel zu vertrauen, sollte der Fokus auf einer ausgewogenen Ernährung liegen, die alle Vitamine, einschließlich Vitamin K1 (z.B. Spinat) und K2 (z.B. Eier, bestimmte Milchprodukte), liefert.
Die Einnahme von Vitamin K als Supplement sollte, wenn überhaupt, nur nach ausdrücklicher ärztlicher Rücksprache und bei einem nachgewiesenen Mangel erfolgen – und niemals auf Verdacht oder weil es als „Schutz“ beworben wird.