25 Tage im November 2020 – Mein Corona-Tagebuch

Heute ist Samstag der 21. November 2020 und ich schaffe es zum ersten Mal nach 20 Tagen Corona aufzustehen, den Rechner hochzufahren und ein paar Zeilen zu tippen. Aber mal von Anfang an: Am 2. November 2020 erfuhren wir vom positiven Testergebnis meines Schwagers. Zwei Tage vorher hatten wir bei uns zusammengesessen und Kaffee getrunken, anschließend hatte er mir geholfen, zwei schwere Eisenheizkörper aus dem Haus heraus in die Garage zu tragen. Am Sonntag  drauf – also bereits infiziert – hatten wir mit Tante Hildegard und unserer Tochter Lissa Pilze gesucht. Wir leben im Rheingau, einer Region, die eigentlich schon ein Hotspot für Corona – aber dass ich zu den 20 von 30.000 Personen gehöre, die sich das Ding eingefangen haben, schmerzt mich sehr und davon wird sich mein Selbstbewusstsein auch nicht so schnell erholen. „Wie blöd kann man sein!?“ – Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Noch entscheidender: Ich hätte jemanden anstecken können, der es unter Umständen nicht so gut weggesteckt hätte. Wie würde ich mit diessem Schuld-Momentum umgehen? Wie Schuld ertragen können? Heute ist klar, dass wir wir die Kette unterbrechen konnten und niemanden angesteckt haben.

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03.11.2020
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, weil ich gut 3 Stunden mit nassen Füssen in den Pilzen war, oder ob es schon erste Corona-Anzeichen sind. Ich fühle mich nicht 100 % fit, bin grippig und froh, wenn ich nichts schaffen muss. Schon beim Spazierengehen mit dem Hund fühle ich meinen Puls. Mein Schwager, der sich ein paar Tage vorher angesteckte hatte, weist deutlicherer Symptome auf.

04.11.2020
ich denke nicht zum letzten Mal in diesen Tagen: „Hoffen wir mal auf einen leichten Verlauf!“ Dieses prophetische Heraufbeschwören eines vermeintlich leichten Verlaufs passt zu Covid19, denn alles was die kommenden 20 Tage passiert, geschieht mit mikroskopisch kleinen Schritten. Das heißt: Wenn es mir am Dienstag nur minimal schlechter geht als am Montag, dann wird’s wohl ein leichter Verlauf werden. Ich fühle mich immer noch grippig, aber es ist eine seltsame Lähmung im Körper die einen erahnen lässt: Das ist irgendwas anderes als eine „normale“ Grippe. Da sitzt irgendwo ein kleines giftgrünes Männlein und richtet sich in deinen Schaltzentralen ein um die Machtübernahme vorzubereiten. Mir ist klar: Das war es nicht bisher und es wird auch massiv schlimmer werden

5.11.2020 bis 10.11.2010
Mittlerweile ist mir klar, dass es Corona und nichts anderes ist. Es fühlt sich einfach anders an. Und es wird jeden Tag schlimmer und zumindest die ersten 10 Tage auch nicht mal etwas besser. Irgendwann ist es so lebensbestimmend, dass von einem leichten Verkauf nicht mehr die Rede ist und nur noch die Frage bleibt: Schaffe ich es alleine oder muss ich ins Krankenhaus?“ Die Symptome wechseln und ich werde zunehmend schwächer. Ohne Sylvias Hilfe würde ich definitiv nicht überleben können.

11.11.2020
Fieberwahn? Ich habe während einer 5 tägigen Phase meines Corona-Verlaufes hoch Fieber. Was mich psychisch sehr belastet ist, dass ich manchmal nicht weiß, was da Realität oder Fieberwahn ist. Mir wird z.B. vorgespielt, mein Gehirn wäre eine Dateisystem, und ich müsste nur gewisse Dinge ordentlich einspeichern, dann würde schon alles glattgehen. In si halb-lichten Momenten habe ich dann wirklich versucht, Dinge abzuspeichern so wie an einem Laptop. Andererseits war ich wirklich in der Lage, beliebige Ereignisse aus der Vergangenheit so wieder auf den Schirm zu holen, dass dich die damaligen Dialoge auswendig mitsprechen konnte. Ich weiß heute, dass alles, was ich je erlebt habe, 1 zu 1 abgespeichert ist und Vergessen nur die Unfähigkeit definiert, gewünschte Daten wieder aufrufen zu können.

 

12.11.2020
Wir bekommen Post von Gesundheitsamt mit der Auflagem bis zum 14. November die Quarantäne einzuhalten. Der Termin macht Sinn, wenn man von einer Infizierung am 2. November ausgeht Mir kommt das seltsam vor: Ich bin todkrank und gerade frisch getestet, habe noch kein Ergebnis.

13.11.2020
ich liege den ganzen Tag im Bett und schaue mir an, was da in Berlin passiert. Ganz davon ab, dass ich eigentlich gut finde, wenn  Leute demonstrieren gegen egal was, so muss es doch wenigstens dem intellektuellen Niveau einer Gesellschaft entsprechen. Nur dass es Spaß macht reicht nicht.  Dieses Niveau spreche ich denen einfach ab. Andererseits sollten wir keinen Jugendlichen verurteilen, der Sophie Scholl oder Anne Frank nicht mehr in den richtigen Kontexts einordnen kann.  Darf nur wer was sagen, der in der Schule aufgepasst hat? Bitte raus aus dem Entrüstungsmodus, das steht keinem zu“ Eine von diesen Werteverteidigerinnen brüllt ins NTV-Mikro: „Und alles wegen einem Schnupfen??!“ Das ist eine ganz andere Nummer.

14.11.2020
Wir haben nun unsere endgültiges Ergebnis: Wir gehören zu den 20 von 30.000 aus der Region, die sich angesteckt haben und ich fühle mich grad nicht wie die Krone der Schöpfung, sondern eher wie der dümmste Fisch im Teich….

15.11.2020
Auf einem der Höhepunkte meines Corona-Verlaufes dreht es sich zunehmend mehr ums Atmen. Man atmet so flach, dass kein Hustenreiz ausgelöst wird. Atmet man über diese Grenze hinweg, weil man z.b. mal auf’s Klo muss, dann startet ein unkontrollierbares Hustenfeuerwerk, das beim ein oder anderen die Atemnot auf dem Weg ins Krankenhaus markiert. Beim Husten schmerzt es im ganzen Körper. Ob man einen leichten Verlauf hat oder nicht, hängt meiner Meinung nach davon ab, ob man mit dem Sauerstoff, dem einen das Virus zuschreibt, auskommen kann oder nicht.

16.11.2020
Es gibt Phasen, in denen geht es mir ganz gut. Aber ich habe aufgegeben, irgendwelchen besorgten Anfragern zu melden „Ich bin über’n Berg!“ Diese Momente verfliegen und sind zu kurz, um sie wirklich zu genießen. Langsam macht sich Angst breit und man beginnt nach „Folgeschäden“ zu googlen.

17.11.2020
Das einzige was sich als typischer Lebenserhaltungstrieb Corona niemals untergeordnet hat ist der Appetit. Aber obwohl ich gut esse und trinke habe ich bislang 4 Kilogramm abgenommen. Es ist so, als ob der Körper permanent signalisiert: „Füll die Potentiale auf!“

21.11.2020
Es fühlt sich besser an, aber nicht nicht so, als hätte man gewonnen – höchstens so, als würde man dem Scheiß-Virus nicht mehr alles gestatten und langsam die Herrschaft über den eigenen Körper zurückerlangen. Ob andere es schlimmer oder weniger schlimm haben? Wer darüber nachdenkt, hatte keinen typischen Verlauf, oder irgendwas anderes. Man liegt nicht halbtod tagelang im Bett und denkt „Hätte schlimmer werden können!“ So ist die Psyche halt nicht gestrickt. Corona heilt sich auch nicht durch spürbare Schritte oder das Zurücknehmen von Symptomen. Man erfährt Heilung durch das Gefühl, dass dieses Visus seine Macht verliert. Ich kann nur jedem sagen: „Das Virus bestimmt, wann’s vorbei ist oder nicht. Ich habe die letzten 5 Tage regelmäßig verkündet, dass ich über den Berg bin – zwei Stunden später war es schlimmer denn je.

23.11.2020
Manchmal sitze ich am PC, arbeite und denke: „Das war’s jetzt – ich bin fit!“ Zehn Minuten später mache ich nur mal kurz im Bett die Augen zu und bleibe den ganzen Tag liegen, weil ich nicht mehr hochkomme. Übermorgen läuft die Quarantäne aus und dann ist es vorbei. Dann jammer ich auch nicht mehr rum, sondern vergesse den ganzen Scheiß.

 

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