„Die von der Bundesregierung geplante Musterfeststellungsklage wird den Autokäufern im Dieselskandal nichts bringen. Der Gesetzgeber hat hohe Hürden eingebaut, die alles andere als verbraucherfreundlich sind. Mit einer Sammelklage wie in den USA ist die Musterfeststellungsklage nicht vergleichbar“, kritisiert Rechtsanwalt Helmut Göbel, KQP Rechtsanwälte / Hamm den Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Das Gesetz soll am 1. November 2018 in Kraft treten.
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Der entscheidende Unterschied zu der Sammelklage in den USA ist, dass die deutschen Verbraucher ihren Schadensersatzanspruch weiterhin eigenständig einklagen müssen. Durch die ‚Musterfeststellungsklage‘ kann nur festgestellt werden, dass ein Schaden entstanden ist und wer der Verursacher des Schadens ist. Das heißt aber nicht, dass die Geschädigten nach Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens automatisch Schadensersatz erhalten. Ihre Ansprüche müssen sie anschließend immer noch selbst geltend machen. „Das heißt: Am Ende können Jahre vergehen, bis die Verbraucher zu ihrem Recht kommen. So bleibt die ‚Musterfeststellungsklage‘ für die durch den Abgasskandal geschädigten Autokäufer ein stumpfes Schwert“, sagt Rechtsanwalt Helmut Göbel, KQP Rechtsanwälte / Hamm.
So soll die Musterfeststellungsklage ablaufen: Nicht der einzelne Verbraucher ist klageberechtigt, sondern nur bestimmte Verbraucherschutzverbände, die mindestens 350 Mitglieder haben oder Dachverbände mit mindestens zehn Mitgliedsverbänden. Damit eine Klage auf den Weg gebracht werden kann, müssen sich mindestens zehn Verbraucher, die durch den selben Verursacher den gleichen Schaden erlitten haben, melden. Nach einer Frist von zwei Monaten müssen sich mindestens 50 Geschädigte in ein Register eingetragen haben, bevor der Prozess überhaupt eröffnet wird.
Selbst wenn das Verfahren eröffnet und der Schaden sowie der Verursacher festgestellt wird, bekommt der Verbraucher noch lange keinen Schadensersatz. Den muss er in einem zweiten Schritt selbst gerichtliche geltend machen, es sei denn, der Verursacher zahlt freiwillig. „Der Gesetzgeber hilft hier eher den Konzernen als den geschädigten Verbrauchern. Die Verfahren können sich endlos in die Länge ziehen“, kritisiert Rechtsanwalt Göbel. Auch sei nicht zu erwarten, dass das beschuldigte Unternehmen den Verbrauchern dann freiwillig einen Vergleich anbietet. „Das hat VW bisher nicht getan und wird es wohl auch nicht nach einer Musterfeststellungsklage tun. Wahrscheinlicher ist, dass VW den Weg durch alle Distanzen gehen wird. Das kann Jahre dauern“, so Rechtsanwalt Göbel. Im Kapitalmarktrecht gibt es bereits seit 2005 das sog. ‚Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz‘ (KapMuG), um die Klagen geschädigter Anleger zu bündeln. Das prominenteste Verfahren wird gegen die Deutsche Telekom geführt. Hier klagen die Aktionäre seit mehr als zehn Jahre auf Schadensersatz. Ebenso sollen die Ansprüche der VW-Aktionäre in einem KapMuG-Verfahren geklärt werden. Ende 2018 soll in diesem Verfahren mündlich verhandelt werden, d.h. auch dieses Verfahren läuft schon seit mehr als drei Jahren. „Autokäufer, die sich einer ‚Musterfeststellungsklage‘ anschließen, werden sich im Dieselskandal wohl auf eine ähnlich lange Verfahrensdauer einstellen müssen, zumal sie ihre konkreten Ansprüche nach dem Musterverfahren selbst aller Voraussicht nach noch einklagen müssen. Bis sie zu ihrem Recht kommen, sind ihre Autos wahrscheinlich schon nicht mehr viel wert oder von Fahrverboten betroffen. Die ‚Musterfeststellungsklage‘ bringt den Verbrauchern keinen greifbaren Vorteil“, so Rechtsanwalt Göbel.
Mit Kritik an dem Gesetzesvorhaben wird auch in der Presse nicht gespart: Die Juraprofessorin Astrid Stadler (Universität Konstanz) sagte beispielsweise dem „Handelsblatt“, dass die ‚Musterfeststellungsklage‘ nur ein „Placebo-Gesetz“ mit geringer Effektivität sei. Manuela Rottmann (Obfrau von Bündnis90/Die Grünen im Rechtsausschuss), erklärte gegenüber „Legal Tribune Online“ (LTO), dass der Gesetzesentwurf sein Ziel komplett verfehle. Die Durchsetzung der Verbraucherrechte werde verkompliziert. So helfe das Gesetz den Konzernen und nicht den Verbrauchern. „Fassungslosigkeit“ herrscht laut LTO auch bei der Deutschen Umwelthilfe. Die DUH hatte in der Vergangenheit immer wieder gegen die zu hohe Abgasbelastung geklagt. Sie wird allerdings von der ‚Musterfeststellungsklage‘ ausgeschlossen, da sie nicht über ausreichend Mitglieder verfügt.
Die gravierendsten Kritikpunkte sind laut Rechtsanwalt Göbel:
• Nur wenige Verbraucherschutzverbände sind überhaupt klageberechtigt. Sie tragen die Kosten und werden personell und finanziell schnell an ihre Grenzen geraten. Zudem fehle den Verbraucherschutzverbänden in solchen Massenschadensfällen die nötige Prozesserfahrung. Fehler im Klageverfahren wirken sich schädlich für alle beteiligten Verbraucher aus, die sich ins Klageregister eintragen, da das Feststellungsurteil bindend ist. Die Verbraucher tragen daher das Risiko, dass sie ihre Ansprüche verlieren.
• Die Verfahren können sich endlos in die Länge ziehen. Es sei davon auszugehen, dass Konzerne wie VW den Weg durch alle drei Instanzen gehen. Bis zu einem abschließenden Urteil können Jahre vergehen. Bis dahin verlieren die vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge weiter an Wert und Verbraucher bleiben weiter im Ungewissen.
• Die Musterfeststellungsklage ist nicht auf Schadensersatz ausgerichtet. Es kann nur ein Feststellungsurteil oder ein Vergleich erwirkt werden. Verbraucher müssen ihren Schadensansatzanspruch nach Abschuss des Musterverfahrens immer noch individuell gerichtlich geltend machen. So geht weiter unnötig Zeit verloren.
Auch wenn das neue Gesetz am 1. November 2018 in Kraft treten soll, läuft den durch den Abgasskandal geschädigten Autokäufern langsam die Zeit davon. Ihre Ansprüche verjähren Ende 2018. „Verbraucher sollten sich daher nicht von der Bundesregierung weiter hinhalten lassen, sondern ihre Ansprüche jeweils möglichst schnell gegenüber den Schädigern geltend machen und diese, wenn notwendig unverzüglich verklagen“, so Rechtsanwalt Göbel.
Mehr Informationen: http://www.kqp.de/vw-skandal/autobesitzer/