Bedeutung des BGH-Urteils für den Abgasskandal

Wir werden in den Tagen nach dem BGH-Urteil vom 25. Mai 2020 immer wieder gefragt, was das Urteil für die unterschiedlichen Motoren-Typen bedeutet. Um das zu verstehen, muss man verschiedene Themenkomplexe vermischen zu einer Gesamt-These, die wir am Ende dieses Textes zusammenfassen werden.

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Bedeutung für EA189-Motoren

Grundsätzlich befasst sich das BGH-Urteil mit einem Volkswagen Sharan 2,0 TDI und bedeutet in konsequenter Auslegung, dass die von Volkswagen bis 2015 genutzte Abschaltvorrichtung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellt. Dies kann im mangelhaften Ergebnis auch durch Nachbesserungen nicht wieder gut gemacht werden kann, weder in der moralisch-ethischen Bewertung noch in Bezug auf den Schadensersatz.

Daher steht Betroffenen der volle Schadenersatz abzüglich der gewonnenen Nutzung plus Zinsen zu. Obwohl die meisten EA189-Fälle bereits ausgeurteilt sind bzw. durch das mittlerweile abgeschlossene Musterfeststellungsverfahren entschieden wurden, gibt es noch rund 60.000 derzeit in Verfahren stehende EA189-Modelle sowie zahlreiche Anspruchsberechtigte, die vom Musterfeststellungsverfahren ausgeschlossen wurden. Diese haben keine Entschädigung erhalten haben, sind aber weiter anspruchsberechtigt. Die Verjährung wurde durch die Teilnahme am Verfahren zumindest bis Oktober 2020 gehemmt.

Weiter haben alle EA189, die noch nicht in einem Verfahren verhandelt wurden und nicht älter als 10 Jahre sind, einen grundsätzlichen und auch noch nicht verjährten Schadensersatzanspruch.

Bedeutung für EA288-Motoren

Im April 2019 machte dann das Aktenzeichen 2 O 273/18 von sich reden. Das Landgericht Wuppertal machte den EA288 – diesmal verbaut in einem Golf TDI – zum Prüffall. Hier den Beweisbeschluss ansehen.  Konkret geht es darum, ob der im Fahrzeug des Klägers verbaute Motor EA288 ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasbehandlung abschaltet und es damit im Realbetrieb zu unzulässigen Überschreitungen der NoX-Höchstwerte kommt. Einen entsprechenden Beweisbeschluss forderte das Gericht auch zu einer Klage auf Schadensersatz eines Octavia III-Eigentümers (Hier lesen). 

Auch das Landgericht Duisburg entscheidet über unzulässige Abschaltvorrichtungen in einem EA288 – was VW nicht bestreitet, aber für zulässig hält.

In weiteren Verfahren hat Volkswagen die Nutzung von angeblich zulässigen Abschaltvorrichtungen wie dem  „Thermischen Fenster“ zugegeben aber ausgeführt, dass man sich im Rahmen der  EG-Verordnung 715/2007 bewege. Das EuGH hat die Verwendung des Thermischen Fensters als unzulässige Abschaltvorrichtung bewertet und Abgasskandal-Opfern Schadenersatz zugesprochen. Beim T6 geht es auch noch um die sogenannte „Konformität“ – hier auftauchende Mängel/Grenzwertüberschreitungen wurden durch   Umprogrammierung der Getriebesteuerung in Automatik-Modellen angeblich bereinigt, ohne dass die Beteiligten hier von Abschaltvorrichtungen reden möchten.

Zuletzt hatte VW im Münchner T6-Urteil die Verwendung des Thermischen Fensters nicht abgestritten.

Das BGH-Urteil bedeutet auf den EA288 heruntergebrochen: Der Hersteller ist schadensersatzpflichtig nach vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung – Paragraf 826 BGB. Der Besitzer muss sich allerdings Nutzungsersatz abziehen lassen und hat Anspruch auf Verzinsung ab Klageeinreichung.

Bedeutung für EA897 und EA897 EVO

Fahrkurvenerfassung, Umfelderkennung, Zykluserkennung und Thermisches Fenster sind Abschaltvorrichtungen, die vermutlich in allen von Audi gebauten 6- und 8-Zylindern der Schadstoffklassen 4 bis 6 (bis 6d temp aufwärts) verwendet werden. Wir gehen auch davon aus, dass es eine simple Prüfstandserkennung gibt, die zumindest in allen noch nicht zurückgerufenen Modellen aktiv sein sollte. Aktuelle Land- und Oberlandesgerichtsurteile können hier ebenso herangezogen werden wie die BGH- und EuGH-Entscheidungen.

Betroffen sind

  • Porsche mit Cayenne, Macan und Panamera
  • Volkswagen mit Touareg
  • Audi in allen TDI-Varianten mit 6 oder 8-Zylindern
  • Sonstige Oberklasse-Varianten von Skoda und VW mit  3-Liter-Maschinen

Bedeutung für Mercedes und BMW

Die Faktenlage ist wie beim EA897: die Verwendung des Thermischen Fensters ist unstrittig, betroffen sind alle Modelle der Schadstoffklassen 5 und 6 mit 4 und 6 Zylindern.

 

Zusammenfassung

Die aktuellen Urteile von EuGH und BGH stellen klar, dass das Verhalten der Hersteller eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellt. Dabei ist der Vorwurf nicht unbedingt nur auf den verhandelten Motortyp EA189 beschränkt, sondern auf alle Modelle mit Diesel-Antrieb bis zumindest September 2018 (Einführung 6d-temp)

  • die im Verdacht stehen, mit unzulässigen Abschaltvorrichtungen zu arbeiten
  • für die es verpflichtende Rückrufe gibt
  • für die es bestätigende Aussagen der Hersteller über angeblich zulässige Abschaltvorrichtungen gibt.

Grundsätzlich haben auch viele Gerichte bereits entschieden, dass Opfer Verdacht „ins Blaue“ hinein äußern können, ohne verpflichtet sein zu müssen, den Verdacht auch beweisen zu müssen. Daher kommt es immer öfter zu Beweisbeschlüssen, in deren Rahmen Gutachter aufgefordert werden, die Motoren unter die Lupe zu nehmen.

Dem Opfer hilft das allerdings nur so lange, wie es eine Rechtschutzversicherung oder einen Prozesskostenfinanzierer gibt, denn Instrumente des kollektiven Rechtschutzes wie eine Sammelklage können für die oben beschriebenen Modell-Varianten  nicht in Anspruch genommen werden.

Nächste Schritte

Bitte nehmen Sie das Angebot der IG Dieselskandal für eine kostenlose juristische Erstberatung in Anspruch und koordinieren Sie einen Termin unter Tel.: 0800 000 1961 oder per Mail an info@ig-dieselskandal.de. Und eine Bitte: Sparen Sie sich Gedanken und Gespräche über eine konkrete Betroffenheit, die idealerweise schwarz auf weiß ausgedruckt werden kann. So etwas gibt es nicht und wird es auch niemals geben. Nach unserer Erkenntnis ist jeder in Deutschland entwickelte Dieselmotor seit Einführung der Schadstoffklasse 5 betroffen –

  • durch unzulässige Manipulationen
  • durch höhere Reparaturanfälligkeit
  • durch zu hohe Verbrauchswerte
  • durch immense Wertverluste

Wenn Sie einen Diesel haben sind Sie auch betroffen!

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3 comments
  1. Das stimmt, aber das Verhältnis der Richter zur Generalanwältin ist kein gegensätzliches. Ich gehe fest davon aus, dass der EuGH dem Antrag folgen wird – vor allem da VW nichts mehr vortragen kann, um das zu entkräften.

  2. Im Falle einer erfolgreichen Schadenersatzklage wg. § 826 BGB ist Zug um Zug gg. Rückgabe des mängelbehafteten Fahrzeugs unter Abzug des Nutzungsvorteils der Kaufpreis des PKW zu erstatten.

    Die an den Käufer auszukehrenden Zinsen sind hierbei noch zu berücksichtigt. In Frage kommen, jeweils in gesetzlicher Höhe von 5% über dem Basiszins:

    • Deliktszinsen ab Zahlung des Kaufpreises,
    • gesetzliche Verzugszinsen ab etwaiger fristgebundener Aufforderung der BMW AG zur Rücknahme des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises unter Abzug des Nutzungsvorteils,
    • Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit.

    Über Deliktszinsen entscheidet der BGH im Juli. Frage: Ist es vorsorglich nicht anzuraten zur Ingangsetzung des Laufes der Verzugszinsen die Hersteller AG so schnell als möglich zur Rücknahme des Fahrzeugs aufzufordern zur Inverzugsetzung? was ist dabei inhaltlich zur Höhe der Forderung zu beachten, um eine kongruente und somit im Ergebnis wirksame Inverzugsetzung der Hersteller AG zu erzeugen? Wie weit darf die Haupt- und Nebenforderung in der Aufforderung zur Rückabwicklung vom tatsächlich rechtlich Geschuldeten abweichen ohne die wirksame Inverzugsetzung und damit die Ingangsetzung der Verzugszinsen zu gefährden? Gibt es hier ein rechtliches Problem der Berechnung der Schadenshöhe für die Aufforderung zur Rückabwicklung zwischen der ungewissen ex-ante und der dann sicheren ex-post Betrachtung? Wie viele Gesamtlaufleistung das jew. Gericht z.B. der Berechnung der Nutzungsentschädigung zu Grunde legt oder ob Deliktszinsen oder „nur“ Verzugszinsen od. gar nur Prozesszinsen erkannt werden liegt wohl derzeit beim Tatrichter und ist daher ex ante ungewiss.

  3. Sie schreiben:

    „Der EuGH hat die Verwendung des Thermischen Fensters als unzulässige Abschaltvorrichtung bewertet und Abgasskandal-Opfern Schadenersatz zugesprochen.“

    So weit ist es noch nicht! Bisher kann man dies „nur“ den Schlußanträgen der Generalanwältin des EuGH – Frau Sharpstone – entnehmen, die für die Entscheidung des EuGH nicht bindend sind.

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